Kommentar
Zinshaus-Bewertung im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis
Das Entwicklungspotenzial eines Zinshauses ist ein wichtiges Entscheidungskriterium, das bei der Bewertung berücksichtigt werden muss. Immobilienbewertungen sind in der Regel primär Rechenaufgaben: Aus den wesentlichen Kennzahlen wird mittels einer anerkannten Berechnungsmethode der Wert eines Objekts errechnet. Dieser basiert auf harten Fakten. Hoffnungen und Fantasien der Investoren finden keine Berücksichtigung. Bei Zinshäusern stellt sich die Lage aus guten Gründen etwas anders dar. Das stark gestiegene Preisniveau und die niedrigen Renditen führen dazu, dass Zinshäuser für Investoren oft nur mehr dann interessant sind, wenn sie zusätz- liche Wertsteigerungsmöglichkeiten, wie Dachbodenausbauten oder Aufsto- ckungen, aufweisen. Die Bewertung dieses Potenzials stellt Immobilienbewerter vor große Herausforderungen, denn entsprechend der reinen Lehre dürften Wert- und Ertragssteigerungen, die durch Aus- oder Umbau erzielbar sind, nur dann Berücksichtigung finden, wenn es dafür eine Baugenehmigung gibt. Die reale Marktsituation zeigt hingegen eindeutig, dass auch nicht baugenehmigte Ausbaumöglichkeiten als realer Wert betrachtet werden und es die Bereitschaft gibt, für diese auch zu bezahlen. Ähnlich komplex ist die Bewertung von Mietzinsvereinbarungen. Grundsätzlich sollten nur gesetzlich sicher gedeckte Mieten angesetzt werden. Schließlich können Mieter Richtwertmietzinse bei der Schlichtungsstelle oder bei Gericht überprüfen lassen und das kann zu einer erheblichen Minderung der Miete führen. Der Markt billigt aber durchaus auch Mietanteilen eine gewisse Nachhal- tigkeit zu, die über dem Wert liegen, der von einer Schlichtungsstelle festgesetzt würde. Aus diesen Gründen kann die Bewertung eines Zinshauses nicht streng schema- tisiert nach theoretischen Gesichtspunkten erfolgen, wie es für Objekte anderer Assetklassen möglich ist, sondern es müssen auch zukünftige Ertragspotenziale einfließen. Langjährige Erfahrung, Marktnähe und Sachverstand sind neben fundierten Kenntnissen der Bewertungsverfahren essenziell für die korrekte Be- wertung von Zinshäusern. Letztlich gilt es, einen realistischen Spagat zwischen den Entwicklungschancen und der richtigen Einschätzung zukünftiger Mieterträ- ge zu finden.
Mag. Astrid Grantner, MSc MRICS Geschäftsführerin EHL Immobilien Bewertung GmbH
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